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Digitaler Wandel zwingt zur Reduktion

Wer eine Präsentation zeigt, wer eine Sitzung leitet oder einen Workshop durchführt, möchte verstanden werden. Doch wie gelingt dies, wenn das Treffen statt im Büro oder im Präsenzunterricht, neu als Online-Konferenz oder Webinar stattfindet?

Wie reagieren wir auf die Herausforderung «viel Stoff – wenig Zeit» und wie kommen wir trotz der Stofffülle und komplexer Inhalte auf den Punkt? Insbesondere dann, wenn wir statt einem grossen Zimmer, nur noch einen Laptop-Bildschirm oder das Display eines Smartphones zur Verfügung haben?

Wir leben in einer Umbruchszeit. Nicht erst seit den Verordnungen rund um Corona, beobachten wir eine fortschreitende Digitalisierung zentraler Lebensbereiche. Sie verändert die Art und Weise, wie Menschen Wissen suchen, erwerben und verarbeiten.

Die Tatsache, dass immer mehr Menschen Lerninhalte nicht nur auf der Wandtafel, dem Whiteboard oder auf der Leinwand sehen, sondern auch auf einer Lernplattform und von unterwegs auf ihrem Tablet oder Smartphone abrufen wollen, verlangt nach Reduktion.

Didaktische Reduktion: Fähigkeit von Ausbildenden und Lehrenden, während der Phase der Vorbereitung einer Präsentation oder eines Lernanlasses umfangreiche und komplexe Inhalte zu reduzieren und zu vereinfachen und auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden ausgerichtet aufzubereiten.“

Quelle: HRM-Dossier Nr. 76 «Auf den Punkt – Didaktisch reduziert lehren und präsentieren», 2017, S. 47

Das Vorwissen der Teilnehmenden abklären

Wer umfangreiche und komplexe Inhalte erfolgreich vermitteln möchte, tut gut daran, das Wissen und die Erfahrungen des Publikums im Vorfeld abzuklären. Dazu gibt es heute zahlreiche einfach anzuwendende Befragungsinstrumente, die online funktionieren.

Diese Abklärungen ermöglichen eine auf die Bedürfnisse und die Intention der Teilnehmenden ausgerichtete Planung vorzunehmen. Mit «Mut zur Lücke» gelingt Lehrenden und Vortragenden eine ansprechende und konzentrierte Form der Darbietung, welche die knappe Ressource «Zeit» aller Beteiligten optimal nutzt.

Wer grundlegende Instrumente zur «Didaktischen Reduktion» anwendet, kann Kernbotschaften herausarbeiten. Er oder sie verbessert damit die Qualität und Verständlichkeit der Präsentationen und Lernangebote. Die Zuhörenden spüren den Zugewinn an Sicherheit und können den Inhalten leichter folgen.

Doch die Aufgabe, ihre Inhalte für die Online-Vermittlung aufzubereiten und zu modifizieren, stellt Teamleitende, Trainer, Ausbildende und Lehrende vor grosse Herausforderungen. Häufig fragen sie sich:

  • Wie kann ich umfangreichen theoretischen Stoff bündeln, strukturieren und reduzieren?
  • Wie gelingt es mir, abstrakte und komplexe Inhalte online anschaulich zu präsentieren?
  • Wie lehre ich erlebnisorientiert, wenn es eigentlich keine Zeit dafür gibt?

Die Bedeutung der Kompetenzorientierung

Statt wie früher, Inhalte einfach nach eigener Vorliebe auszuwählen, überlegen sich professionelle Ausbildende, welche Kompetenzen die Lernenden erwerben müssen. Sie fragen sich welche Performanz oder Handlungsfähigkeit sie in einer definierten Situation beweisen sollen.

Weil sich viele Ausbildende mit Gruppen von Lernenden konfrontiert sehen, die zunehmend unterschiedlichere Lernvoraussetzungen mitbringen, braucht es «Binnendifferenzierung». Unterschiedliche Lernpfade und Zugänge zu komplexen Inhalten müssen entwickelt werden.

Didaktische Reduktion Yvo Wüest
Quelle: HRM-Dossier Nr. 76: Auf den Punkt – Didaktisch reduziert lehren und präsentieren, 2017
Die Zeit der 5 G’s – gleiches Thema, in der gleichen Gruppe, auf dem gleichen Anspruchsniveau, in der gleichen Geschwindigkeit, mit dem gleichen Lernziel – ist definitiv vorbei. Neue Möglichkeiten online gestützter Lernprozessen und KI (Künstliche Intelligenz) erlauben uns, Lernangebote neu und reduziert zu denken.

Gründlichkeit statt Vollständigkeit anstreben

Ein typischer Stolperstein ist die bei Experten vielfach zu beobachtende Tendenz zu Komplexität und Vollständigkeit. Insbesondere Fachexperten, die oft über ein breites und komplexes, gleichzeitig vernetztes und verdichtetes Wissen verfügen, sind hier herausgefordert.

Noch viel zu oft gehen sie davon aus, alles sei wichtig. Für den Lernprozess stimmt dies sicherlich nicht. Wer dem Prinzip «Vollständigkeit» folgt, mutet den Lernenden, zumindest in der ersten Phase, zu viel Stoff oder zu viel Komplexität zu. Mehr als die Lernenden zu diesem Zeitpunkt aufnehmen können. Mehr als dem Lernprozess im Moment zuträglich ist.

Auf dem Weg zu hybridem Lernen

Die steigende Bedeutung von «Blended Learning», der Verschränkung von Präsenzunterricht mit E-Learning, sowie hybrides Lernen, das heisst die Kombination aus Präsenz- und Distanzlernen, stellt Bildungsanbieter vor didaktische und organisatorische Herausforderungen.

Eine wichtige Aufgabe von Lehrenden und Präsentierenden ist es darum, umfangreiche oder komplexe Sachverhalte auf ihre wesentlichen Elemente und fundamentalen oder kausalen Zusammenhänge zurückzuführen.

Diese sind für Lernende leichter fassbar und bleiben besser im Gedächtnis haften. Wer professionell lehren möchte, ist darum gut beraten, sich für eine kluge Auswahl sowie Konzentration und Vereinfachung des Stoffes zu bemühen.

Über den Autor:

Yvo Wüest ist vom Hintergrund her Übersetzer und Dolmetscher. Mehrere Jahre arbeitete er in der Internationalen Zusammenarbeit mit dem Schwerpunkt Karibik und Lateinamerika. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Erwachsenenbildung auf der Stufe Dozent, Studienleiter und Schulleiter. Sein Spezialgebiet ist die «Didaktische Reduktion». Als Trainer ist er zu diesem und weiteren didaktischen Themen in der Schweiz und international unterwegs – unter anderen auch bei EducAvanti in den SVEB Erwachsenenbildner-Lehrgängen. Im Februar 2022 erscheint im Beltz Verlag in der Reihe «Mini-Handbuch» sein neues Buch zum Thema «Reduktion».
www.didacticalreduction.com

 

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